Die Sache mit der Oxalsäure – ein paar Anmerkungen zur Ernährung Europäischer Landschildkröten

von Lutz Prauser

Autor von:
Manchmal sind es Mistviecher-warum man Schildkröten einfach lieben muss*
und
Manchmal sind es Goldstücke: Neues von den geliebten Mistviechern und ihren Haltern*
Sowie Inhaber der “Testudowelt” 

Wer in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, also in Schildkrötenforen oder den einschlägigen Facebook-Gruppen, der kennt sicher die Diskussion, denn sie taucht mit schöner Regelmäßigkeit auf: Die Ausgangsfrage ist immer „Dürfen die Schildkröten das fressen?“ und das bezieht sich auf Pflanzen, die der Fragesteller oft nicht kennt. „Nein“, lautet die Antwort. Oder „Höchstens mal als Leckerli…“ wenn es um Pflanzen geht, die einen hohen Oxalsäureanteil haben.

Hin und wieder entbrennt dann die Diskussion, man habe aber etwas anderes gehört oder gelesen, dieser und jener habe aber… und so weiter. Gelegentlich beteilige ich mich an der Diskussion und kommentiere, dass es nicht nötig ist, Tiere mit (extrem) oxalsäurehaltigen Pflanzen zu füttern, die Breite an besser geeigneten Pflanzen, die von den Tieren genauso gern gefressen werden, ist groß genug.

Warum?

Oxalsäure ist eine Substanz, die natürlicherweise in vielen Pflanzen vorkommt, zum Teil in recht hoher Konzentration. Viele Pflanzen, die wir Menschen verzehren, viele aber auch, die von Schildkröten sehr gerne gefressen werden, enthalten diese Säure.

Was ist eigentlich Oxalsäure?

Oxalsäure gehört zu den sogenannten „organischen Säuren”. Chemisch gesehen handelt es sich um Ethandisäure, umgangssprachlich auch Kleesäure genannt. Ihren Namen verdankt die Säure dem Sauerklee (Oxalis) einer Pflanzengattung aus der Familie der Sauerkleegewächse (Oxalidaceae). Die Summenformel der Säure ist C2H2O4.

Im Rahmen ihres Stoffwechsels bilden verschiedene Pflanzen diese Oxalsäure. Die Menge der Säure ist natürlich zum einen grundsätzlich abhängig von der Pflanzenart, einige Pflanzen bilden viel, andere gar keine Oxalsäure. Die Menge ist aber auch abhängig vom Entwicklungsstadium der Pflanzen sowie äußeren Bedingungen, wie Nährstoffversorgung. Oxalsäure befindet sich in allen Pflanzenteilen, überwiegend aber in Blättern und Stängeln. Bei getrockneten Pflanzen nimmt der Oxalsäureanteil mit der Zeit wieder ab.Zu den größten Oxalsäureproduzenten der Natur zählen folgende Pflanzenarten:

  • Alle Ampfer, vor allem der Krause Ampfer, der Gartenampfer und der Sauerampfer. Sauerampfer enthält zwischen 830 und 1770 mg Oxalsäure pro 100g Pflanzenanteil und gehört damit zu den absoluten Spitzenreitern.

  • Sauerampfer-Oxalsäure
    Sauerampfer

    Rhabarber (Stiele): Sie bestehen zu 0,3 bis 0,7% aus Oxalaten.

  • Sauerklee (Oxalis acetosella). Hier weisen schon der deutsche und der lateinische Name auf die Säuren hin. Der normale Klee hingegen enthält kaum Oxalsäure.

Ebenfalls zu erwähnen sind:

Amerikanische Agavenarten und Aloe, Begonien, Schachtelhalmarten, Mittagsblumen, Kalisalzkraut und Bucheckern, Spinat, Mangold, Jungfernrebe, Weinrebe (Laub), Portulak, Kapuzinerkresse, Gartenkresse, Gartenmelde, Mauerpfeffer – also durchaus auch Pflanzen, die ins Futterspektrum von Europäischen Landschildkröten gehören.

Ein übermäßiger Verzehr dieser Arten kann zu einer Lebensmittelvergiftung mit Oxalsäure führen, das ist übrigens auch bei Menschen so: Kinder unter 2 Jahren sollten keine oxalsäurehaltigen Pflanzen essen, ebenso Menschen mit Nierenproblemen oder mit Eisenmangel.

Was aber ist jetzt das Problem mit der Oxalsäure?

Viele Oxalate sind in Wasser schwer oder gar nicht löslich: Calciumoxalat gehört zu diesen kaum löslichen Salzen. Wenn also ein Organismus Oxalsäure aufnimmt, dann geschieht dies in der Regel in Form der wasserlöslichen Kaliumoxalate. Im Körper spaltet sich das Kaliumoxalat zu freien Kalium- und freien Oxalat-Ionen. Diese verbinden sich mit den befindlichen Calcium-Ionen zu dem wasserunlöslichem Calciumoxalat. Dieses Oxalat kristallisiert aus. Das Ganze sieht chemisch gesehen so aus:

K2C2O4 -> 2K+ + C2O42– Ca2+ + C2O42– -> CaC2O4

Welche Folgen hat das nun?

Zunächst führen hohe Oxalsäuredosen bei Säugern zu unmittelbaren erheblichen Reizungen im Magen- und Darmtrakt. Ein Nachweis gleicher Reaktionen bei Reptilien fehlt allerdings.

Oxalat steht – und das löst die immer gleichen Warnhinweise aus – im Verdacht, ein „Calciumräuber“ im Organismus zu sein. Wie oben geschildert, bilden die wasserlöslichen Oxalatverbindungen, vor allem das Kaliumoxalat, das wasserunlösliche Calciumoxalat, das dann vom Organismus der Schildkröten nicht mehr aufgenommen werden kann.

Die sich im Tier ansammelnden Calciumoxalat-Kristalle lagern sich hauptsächlich in den Nieren- und Harnleitersystem ab. Geringere Mengen werden mit dem Urat ausgeschwemmt. Größere Ansammlungen aber führen zu Nieren- und Harnsteinen – übrigens auch bei Menschen: So setzen sich laut Untersuchungen menschliche Harnsteine zu 50% bis 75% aus Calciumoxalat zusammen. Das dürfte bei Schildkröten nicht wesentlich anders sein.

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Dazu muss man wissen:

Schildkröten brauchen wie alle Wirbeltiere zuallererst Calciumcarbonat zum Knochenaufbau. Aber das ist noch lange nicht alles. Denn Calcium wird an vielen Stellen im Körper gebraucht. Es ist von zentraler Bedeutung bei neuronaler Erregung, Muskelkontraktion, Blutgerinnung und enzymatischen Aktivitäten. Calcium ist eine Substanz, die für viele Körperfunktionen von großer Bedeutung ist. Oder noch einfacher: Ohne Calcium läuft im Körper (fast) gar nichts.

Da in einem Organismus ein „Rädchen ins andere greift“, können sich alle Räder nur richtig drehen, wenn alle mehr oder weniger gut funktionieren. Blockieren Räder an Schlüsselstellen, ist das ganze System lahmgelegt. Ähnlich verhält es sich auch im Organismus. Ohne Muskelkontraktion keine Bewegung, ohne neuronale Erregung kein funktionierendes Nervensystem usw..

Fette Henne
Fette Henne

Diese Funktionen sind so wichtig, dass sie – jetzt wieder bildlich und sehr einfach gesprochen – bei der Verteilung von Calcium höchste Priorität haben. Erst wenn für diese Funktionen genügend Calcium zur Verfügung steht, „kommt der Knochenaufbau dran“.

Diese Priorität des Körpers zeigt sich deutlich bei einer Calcium-Unterversorgung: Bei einer dauerhaften Calciummangel versorgt sich der Körper aus seinen eigenen „Depots“. Um also sicherzustellen, dass genug Calcium für die wichtigen Körperfunktionen vorhanden ist, holt sich der Organismus zur Not das eingelagerte Calcium aus den bereits gebildeten eigenen Knochen. Auch das ist eine sehr stark vereinfachte Erklärung, aber sie hilft zu verstehen, warum Calcium für Schildkröten (und alle anderen Wirbeltiere) immer lebensnotwendig ist.

Wird also eine Schildkröte auf Dauer mit zu wenig Calcium versorgt, führt das nicht nur dazu, dass der Knochenaufbau nur mangelhaft erfolgen kann, es geht sogar noch weiter: Knochen werden nicht nur nicht auf- sondern sogar wieder abgebaut.

Hierbei muss man sich zusätzlich vor Augen führen, dass der Anteil des Skeletts am Körpergewicht von Schildkröten um ein Vielfaches höher ist, als bei allen anderen Wirbeltieren. Das resultiert durch den speziellen Skelettaufbau der Schildkröten, denn ein Großteil des Skeletts besteht ja unter den Hornschilden aus großen Knochenplatten.

Der Panzer eines Schildkrötenschlüpflings macht 21% des Körpergewichts aus. Bei Landschildkröten steigt der Anteil mit der Zeit auf etwa 29%, bei Sumpfschildkröten auf 31%, bei Wasserschildkröten auf 34%. (Alles Durchschnittswerte). Das menschliche Skelett bringt es auf 10-15% des Gesamt-Körpergewichts.

Besonders Jungtiere brauchen während ihres Wachstums enorme Mengen an Calcium zur Aushärtung von Skelett und Panzer. Das ganze Calcium allerdings würde den Tieren übrigens nichts nützen, wenn sie nicht in ausreichender Menge UV-B-Strahlung zur Verfügung haben, denn diese spielen bei der Vitamin-D3-Synthese und dem Knochenaufbau eine ebenso wichtige Rolle.

Wenn der Calciumspiegel im Organismus zu niedrig ist, also nicht gedeckt wird durch Zufuhr mit der Nahrung, bedient sich der Körper des eigenen Calciums. Es wird aus den Knochen herausgelöst. Rachitis ist die Folge. Bei Jungtieren führt Calciumunterversorgung zu erheblichen Deformationen und Erweichungen bis zum Tod. Bei erwachsenen Tieren führen die Mineralisationsstörungen zu Osteomalazie. Knochenbrüche sind unmittelbare Folgen. Aber gerade die Deformationen führen zu einer langen Liste an weiteren Beeinträchtigungen und Erkrankungen: Beeinträchtigungen der Lunge und anderer Organe mit allen Folgeerscheinungen/-erkrankungen, Bewegungsprobleme, Probleme mit der Nahrungsaufnahme usw…

Bei weiblichen Schildkröten gibt es noch einen zusätzlichen hohen Bedarf für Calcium: Die Ausbildung von Eierschalen.

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Eigene Regulierung der Schildkröten?

Die Erfahrungen der Halter zeigen, dass die meisten Schildkröten ihre Nahrungsaufnahme, was die Inhaltsstoffe der Nahrung betrifft, nur begrenzt regulieren. So steuern sie z.B. die Calciumzufuhr selbst, nicht aber die Dosierung von Pflanzen, die schädliche Substanzen enthalten. Eine Schildkröte hält beim Verzehr schmackhafter Arten nicht instinktiv “Maß”.

Sie wird also nicht aufgrund möglicher gesundheitlicher Gefahren nur wenige Weinblätter fressen, wenn diese ihr zur in größerer Menge zur Verfügung stehen. 2006 schrieb Wolfgang Wegehaupt in seinem Buch „Natürliche Haltung und Zucht der Griechischen Landschildkröte“:

Speziell Mauerpfefferarten sind im natürlichen Habitat teilweise massenhaft vorhanden und werden auch bei uns von den Schildkröten sehr gerne gefressen… Daher kann ich nur vermuten, dass der in den anderen Pflanzen enthaltene wesentlich höhere Kaliumgehalt und das Überangebot an zusätzlichen Kalziumlieferanten die Störung des Kalziumstoffwechsels wieder ausgleicht.“ (Wegehaupt, 2006. S. 207).

Entwarnung gibt Ludwig Kalt in seinem Beitrag „Oxalsäure, doch kein Kalziumräuber“ auf der von Horst Köhler betriebenen Internet-Plattform Schildi-Online. Er führt aus, dass eine sehr starke Kalium-Zunahme bei Schildkröten die Tiere in die Lage versetzt, Oxalate (an Kalium gebunden und in Wasser gelöst) wieder auszuscheiden, anstatt dass die Oxalate die freien Calciumionen zu unlöslichem Oxalat ausfällen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der Hinweis auf Löwenzahn, der nun auch nicht gerade wenig Oxalsäure enthält:

„Gerade Löwenzahn hat sich als Schildkrötenfutter bewährt und ist für viele Schildkrötenhalter seit langem ein Hauptfutter, ohne dass dabei Schäden für die Tiere entstanden sind. So sollte man meiner Meinung nach aufhören, Pflanzen, von denen man gehört hat, sie enthielten Oxalsäure, nur deshalb nicht zu verfüttern.“

Seine Quintessenz:

„Somit lässt sich aussagen, dass eine kaliumreiche Ernährung – wie sie jede Landschildkröte, die zum Großteil mit Wildkräutern, Blattgemüse, Sukkulenten und Ähnlichem ernährt wird, erfährt – einen eventuellen merklichen Kalziumverlust durch Oxalsäure verhindern kann. Ernährt der Pfleger seine Landschildkröte(n) abwechslungsreich und nicht gerade mit Sauerampfer als alleinigem Hauptfutter, spielt der Oxalsäuregehalt einzelner Wiesenkräuter nur eine untergeordnete Rolle.“

Was heißt das nun konkret für mich?

Rhabarber im Schildkrötengehege
Rhabarber im Schildkrötengehege

Gern gefressene Sedumarten wie Fette Henne wachsen bei mir nicht im Gehege, so dass meine Schildkröten keinen uneingeschränkten Zugriff darauf haben. Eher selten erlaube ich ihnen, an der Fetten Henne zu knabbern.

Hingegen wächst in einem meiner Gehege Rhabarber. Nicht, weil ich ihn dort gezielt angepflanzt habe, sondern weil das Gehege dort ist, wo sich vor Jahren noch ein Gemüsegarten befand und viele Pflanzen einfach an ihren Standorten geblieben sind (u.a. auch Liebstöckel, Salbei, Melisse). Den Rhabarber habe ich nicht entfernt, seit ich sicher weiß, dass meine Tiere die Pflanze zwar sehr gern als Versteck nutzen, aber weder die Blätter noch die Stangen anknabbern. Sie haben es nicht ein einziges Mal versucht. Ich habe sie weder dabei beobachten können noch an Blättern eindeutige Fraßspuren entdeckt.

Gezielt würde ich Rhabarber nicht ins Gehege setzen, aber in diesem geschilderten Fall nun auch nicht panikartig alles entfernen, nur weil jemand meint, das sei giftig.

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