Winterstarre bei Landschildkröten: Warum milde Winter kein Problem sind 

Viele Halter von Landschildkröten sind zurzeit besorgt – die milden Wintertemperaturen verunsichern sie. Doch sind diese Bedenken wirklich berechtigt?

Klaus Kreyerhoff hat auf Facebook einen bemerkenswerten Beitrag zu genau dieser Frage verfasst, den ich hier gerne aufgreifen und vertiefen möchte. Denn die Natur hat unsere gepanzerten Freunde mit einem ausgeklügelten Regulationssystem ausgestattet, das weit mehr umfasst als nur die simple Reaktion auf Außentemperaturen.

Der Mythos der „perfekten“ Überwinterungstemperatur

In der Schildkröten-Haltung kursiert eine hartnäckige Behauptung: Landschildkröten könnten oberhalb von 8 °C Schwierigkeiten bei der Winterstarre bekommen, weil ihr Stoffwechsel zu stark aktiv werde. Diese Annahme greift jedoch zu kurz und unterschätzt die evolutionären Anpassungen dieser Reptilien erheblich.

Die Evolution hat bei wechselwarmen Tieren wie unseren Europäischen Landschildkröten kein System geschaffen, dessen Überleben auf wenige Grad genau abgestimmt sein muss. Im Gegenteil: In ihren natürlichen Lebensräumen rund um das Mittelmeer erleben Griechische Landschildkröten, Maurische Landschildkröten und Breitrandschildkröten regelmäßig milde Winterperioden mit Temperaturen, die deutlich über dem liegen, was wir in Deutschland als „zu warm“ empfinden.

Landschildkröten überwintern - Breitrandschildkröte auf Sardinien
Breitrandschildkröte (Testudo marginata) auf Sardinien

Das Geheimnis der Photoperiode: Warum Tageslänge wichtiger ist als Temperatur

Landschildkröten sind zwar wechselwarme Tiere (poikilotherm), deren Stoffwechsel temperaturabhängig arbeitet – doch das ist nur die halbe Wahrheit. Bei grundlegenden Lebensentscheidungen wie dem Eintritt in die Winterstarre, der Fortpflanzung oder der Nahrungsaufnahme orientieren sie sich primär an der Photoperiode, also der Tageslänge.

Das funktioniert über ein faszinierendes biologisches System:

Das Parietalorgan (Scheitelauge) ist ein lichtempfindliches Sinnesorgan auf dem Kopf der Schildkröte. Es erfasst Lichtreize und leitet diese Information an das Gehirn weiter. Die Zirbeldrüse (Epiphyse) reagiert darauf mit der Ausschüttung von Melatonin – dem Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus und den Jahresrhythmus steuert.

Die kürzer werdenden Tage und die geringere Lichtintensität im Herbst lassen den Melatoninspiegel ansteigen. Dieses Hormon signalisiert dem Organismus der Schildkröte unmissverständlich, dass es Zeit ist, die Aktivitäten einzustellen.

Das Zusammenspiel von Temperatur und Hormonen

Die Temperaturen bestimmen lediglich, wie stark der Stoffwechsel maximal sein kann. Die Hormone der Zirbeldrüse entscheiden hingegen darüber, wann dieser Stoffwechsel überhaupt genutzt wird.

Ein praktisches Beispiel: Milde Dezembertemperaturen würden theoretisch eine höhere Aktivität ermöglichen. Doch die durch die kurzen Tage ausgelösten hohen Melatoninwerte senden ein klares Signal das die Aktivitäten weiter herunter gefahren werden.

Landschildkröten überwintern - Unsere Susi an einem warmen Tag im Februar
Unsere Susi an einem warmen Tag im Februar.

Das Ergebnis ist eindeutig: Das Tier bleibt trotz temporärer Wärme träge, nimmt keine Nahrung auf und bereitet sich hormonell weiterhin auf die tiefe Winterstarre vor. Beide Systeme – die Temperatursteuerung und die hormonelle Steuerung durch Lichtintensität sowie Tageslänge – ergänzen sich perfekt und verhindern Fehlentscheidungen durch kurzfristige Wetterschwankungen.

Der Schutzfaktor Boden: Warum Lufttemperaturen täuschen können

Ein weiterer wichtiger Aspekt wird oft übersehen: Die hohen Lufttemperaturen während milder Winterperioden wirken sich auf die trägen Bodentemperaturen, in denen die Landschildkröten überwintern, kaum aus. Unter einer dicken Laubschicht bleibt die Temperatur weitgehend konstant – unabhängig davon, ob die Luft darüber 2 °C oder 12 °C warm ist.

Messungen an unseren Überwinterungsgruben in den letzten Jahren bei kalten Winternächten ergaben, dass die Lufttemperaturen im Schildkrötenhaus zum Teil bei ca. minus 10 Grad lagen, die Temperaturen in der Überwinterungsgrube wenige Zentimeter unter der Erde jedoch konstant bei 3–5 Grad blieben. Die natürliche Isolation durch Laub, Erde und das Schutzhaus schützt die Tiere zuverlässig.

Wintergrube für die gemischte Gruppe - gefüllt mit Eichen,- und Buchenlaub
Wintergrube für die gemischte Gruppe – gefüllt mit Eichen,- und Buchenlaub

Grabeverhalten: Ein weit verbreiteter Irrtum

Viele Halter glauben, ihre Landschildkröten müssten sich während der Hibernation Frühbeet bzw. Gewächshaus tief in die Erde eingraben. Diese Annahme entspricht jedoch nicht dem natürlichen Verhalten der Tiere.

Die meisten Landschildkröten graben sich nicht tiefer ein als unbedingt nötig. Sie bevorzugen es, überwiegend oberflächlich vergraben zu bleiben und von der Umwelt noch Reize mitbekommen zu können. Einige Exemplare liegen sogar komplett obenauf, nur im Laub versteckt, oder kommen für kurze Momente daraus hervor. So verhält sich z. B. auch unsere Susi, , eine Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni boettgeri). Das ca. 60-jährige THB-Weibchen gräbt sich in der Regel nicht ein und kommt bei längeren, wärmeren Abschnitten auch mal aus der Wintergrube, sonnt sich und verschwindet dann wieder, wenn es kälter wird.

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Dieses Verhalten ist völlig normal und kein Grund zur Besorgnis. Es zeigt vielmehr, dass die Tiere ihren natürlichen Instinkten folgen und sich nicht künstlich anpassen müssen.

Häufig gestellte Fragen zur Winterstarre bei milden Temperaturen

Müssen meine Schildkröten bei mildem Wetter in den Kühlschrank?

Nein, nicht zwingend. Bei einer gut angelegten Frühbeet-Überwinterung mit ausreichender Isolation bleiben die Bodentemperaturen stabil. Die hormonelle Steuerung durch die Tageslänge hält die Tiere auch bei milderen Lufttemperaturen in der Ruhephase.

Kann meine Schildkröte bei 10 °C Schaden nehmen?

Kurzzeitige Temperaturanstiege sind unbedenklich. Problematisch wären dauerhafte Temperaturen über 8 °C in Kombination mit länger werdenden Tagen – das kommt im Winter jedoch nicht vor.

Warum frisst meine Schildkröte nicht, obwohl es warm ist?

Das ist ein gutes Zeichen! Die hohen Melatoninwerte signalisieren dem Tier, dass trotz milder Temperaturen Ruhezeit ist. Der Stoffwechsel bleibt heruntergefahren.

Soll ich meine Schildkröte bei mildem Wetter ausgraben und kontrollieren?

Bei der Frühbeet-Überwinterung solltest du Störungen minimieren. Nur bei begründetem Verdacht auf Probleme ist eine vorsichtige Kontrolle sinnvoll. Bei der Kühlschrank-Methode sind monatliche Kurzkontrollen üblich.

Fazit: Vertraue der Natur!

Milde Winter sind für gesunde Landschildkröten in artgerechter Haltung kein Grund zur Sorge. Die Evolution hat diese Reptilien mit einem doppelten Sicherungssystem ausgestattet: Die Kombination aus Temperatursteuerung und hormoneller Regulation durch die Photoperiode schützt die Tiere zuverlässig vor Fehlentscheidungen durch kurzfristige Wetterschwankungen.

Vertraue einfach auf die Millionen Jahre alte Anpassungsfähigkeit deiner Schildkröten. Sie sind robuster, als viele gut gemeinte Ratschläge vermuten lassen.

Winter im Hunsrück
Winter im Hunsrück

Quellen:

Sind unsere Winter wirklich zu mild? – Klaus Kreyerhoff
Überwinterung von mediterranen Landschildkröten, Schildkröten-Interessengemeinschaft Schweiz (SIGS)
Die Schildkröten-Farm – Winterstarre/Winterruhe bei Landschildkröten

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